Hawaii Tagebuch – Teil 4

Race Day

Beginnen möchte ich meinen Rennbericht mit einem Zitat von Sebastian Kienle aus einem Interview vor dem Rennen:

« Du kommst hierher, denkst du bist jemand. Die Insel zeigt, dass du niemand bist. »

Jetzt ist es keinesfalls so, dass ich mich als jemanden bezeichnen möchte, der schon viel erreicht hat bzw. dass ich von mir selbst behaupte, jemand Besonderes zu sein. Das Zitat kann auf jeden Einzelnen Starter hier übertragen werden. Der IRONMAN auf Hawaii hat eben seine ganz eigenen Gesetze. Unter den Triathleten bekannt als der „Mythos Hawaii“.

Der Tag begann schon früh morgens. Mein Wecker klingelte bereits um 3:00 Uhr. Es war noch stockdunkel als wir uns mit dem Shuttlebus auf den Weg zur Wechselzone aufmachten. Allerorten wuseln Athleten mit ihren Betreuern Richtung Pier. Es fühlte sich an, wie der Einzug der Gladiatoren in die Kampfarena. Bereits am Vortag wurden die Räder eingecheckt und die Wechselbeutel abgegeben. Die Laufräder wurden nochmals aufgepumpt und die Zeitfahrmaschine mit Trinkflaschen bestückt. Alle Starter mussten sich entsprechend ihrer Farbe der Badekappe aufstellen. Jede Altersklasse hatte ihre eigene Farbe und somit ihren eigene Startzeit.

Der erste Start mit den Profi Damen erfolgte um 6.25 Uhr in der Früh. Die Luft knistert vor Anspannung, das Meer war sichtlich bewegt und über uns kreisten Drohnen und Helikopter. Nach der live von einer Hawaiianerin gesungenen Nationalhymne der USA (Emotionen und Gänsehaut pur!) donnerte der Kanonenschuss durch die Morgendämmerung. Meine Nervosität stieg ins unermessliche. Jetzt cool bleiben und die Eindrücke aufsaugen. Heute sollte meine persönliche „Vision“ nach jahrelangem Training ihren Höhepunkt finden. Heute ist mein Tag. Ich hatte Tränen in den Augen. Dieses Erlebnis heute wird mir niemand mehr nehmen können. Papa erinnerte mich noch einmal an unser gemeinsames und wichtigstes Ziel heute: Gesund und mit einem Lächeln im Gesicht finishen. „See you at the finish-line“. Eine Renntaktik für heute gab es nicht. Wie sagte noch Kipchoge nach seinem Weltrekord beim Berliner Marathon : „Die beste Taktik ist Training und wer gut trainiert hat, soll Vertrauen in sich haben.“ Ich habe riesigen Respekt (und jetzt sogar ein wenig Angst) vor dem Mythos Hawaii und so gehe ich auch in dieses Rennen: locker aber zügig schwimmen, entspannt Radfahrern und dann den Marathon in glühender Hitze überleben! Nur zu gut kann ich mich an meinen „Blackout“ aufgrund der Hitze bei den Baden-Württembergischen Meisterschaften im Kraichgau erinnern. Im Nachhinein vielleicht ein „Warnschuss“ im richtigen Moment.

Meine Gruppe mit den lilafarbenen Bademützen der 18 – 29 jährigen Mädels durfte um 6.45 Uhr genau 20 Minuten nach den Profis ins Wasser. Papa musste nach mir noch 50 Minuten auf seinen Start warten. Booom – Startschuss. Der längste und härteste Tag meines Lebens sollte beginnen.

Am Start entlud sich die Anspannung bei allen Startern gleichzeitig und das Salzwasser brodelte. „Waschmaschine“ nennen die Triathleten die Keilerei am Start. Der Wellengang war deutlich spürbar und ich war bestrebt auf die Seite zu atmen, wo gerade keine Welle war. Mit zunehmender Schwimmdauer entspannte sich die Lage etwas und ich konnte gleichmäßig den Weg zum Wendepunkt anpeilen. Ein Katamaran und ein weiteres Boot markierten diesen Punkt und es ging im Uhrzeigersinn wieder zurück ans Pier von Kailua-Kona.

Nach 1:01:58 Stunden Schwimmzeit hatte ich wieder festen Boden unter meinen Füßen. Beim Ausstieg noch kurz den Mund mit Süßwasser gespült und dann ging es ab aufs Rad.

Nach einer kleinen Zuschauerfreundlichen Stadtschleife ging es den Anstieg von der Palani Road hoch auf den Queen K Highway. Oben angelangt sah ich erstmals die Menge an Athleten auf der Strecke, welche sich wie eine Perlenkette auf dem Highway ihren Weg bahnten. Hier auf dem Highway spürte ich die Hitze, welche mich also für den Rest des Tages begleiten sollte. In den Lavafeldern regiert nur Hitze und Wind – warmer Wind. Ich hatte mir einen festen Plan geschmiedet, wann ich welche Menge an Kohlenhydraten aus meinen Radflaschen zu mir nehmen sollte. Zudem Salztabletten und viel Wasser, um bereits auf der Radstrecke den extremen Mineralverlust zumindest etwas auszugleichen. Die Radstrecke mit 1772 versteckten Höhenmetern ist sehr hügelig und erscheint schier unendlich, weil fast immer gerade aus. So spulte ich möglichst gleichmäßig Meile um Meile herunter. Durch den Wendepunkt in Hawi konnte ich die schnellen Profimädels vor mir sehen. Auch für Papa, welcher ja eine knappe Stunde nach mir gestartet war, hatte ich ein fröhliches zuwinken kurz nach Hawi parat.

Nach 5:42:14 Stunden für die 180 Kilometer lange Radstrecke kam ich in der Wechselzone am Pier von Kona an. Die oft drehenden warmen Mumuku Winde auf der Radstrecke hatten mich wirklich Körner gekostet. Gefühlt hatte ich zwei Drittel der Strecke Gegenwind.

Nun noch die dritte Disziplin: Der alles entscheidende Marathon in sengender Mittagshitze. Oberste Priorität hatte hier die Kühlung und die Versorgung des Körpers mit Energie, Flüssigkeit und Mineralien. Der Rest war Kopfsache.

Auf der Küstenstraße, dem Ali’i Drive, erwarteten mich Mama. Sie machte Bilder und feuerte mich an. Auch jetzt wieder die mahnenden Worte, nicht zu schnell loszulaufen und ich solle doch bitte daran denken, meine Kräfte einzuteilen. An den Verpflegungsstationen reduzierte ich jeweils deutlich mein Tempo um meist gehend ausreichend Flüssigkeit zu mir zu nehmen und Eiswasser-Kühlung zu bekommen. Auch die ca. 13% steile Palani-Road nach der Wendepunktschleife am Ali’i Drive zwingt mich zum Gehen. Oben angelangt, laufe ich wieder los, aber es wird immer heißer und das Laufen fällt mir immer schwerer. Die über 300 Höhenmeter machen sich unter diesen extremen klimatischen Bedingungen gewaltig bemerkbar. Der Highway fühlte sich ein weiteres Mal unendlich lang an und die nächste Verpflegungsstation scheint jeweils unendlich weit weg zu sein. Nur alle zwei Meilen bekommen wir Wasser, Cola,Energygetränk, Gel und nochmals Wasser. Zudem Eiswürfel unter meine Mütze. Ich habe alles in und über mich geschüttet, was ich greifen konnte. Bei wirklich jeder Verpflegungsstation. Die regelmäßigen Gehpausen an den Verpflegungsstellen machen viele zeitsparende Momente aus den ersten beiden Disziplinen zunichte. Der Kampf um Sekunden an den Bojen im Wasser, die schnellen Wechsel in den Wechselzonen oder das möglichst lange Fahren in Aeroposition auf dem Rad. Alles umsonst und vergessen, wenn es einem beim Marathon schlecht geht. Das ist Triathlon.

Nachdem wir die ersten 10 Kilometer in Kailua Kona mit relativ vielen Zuschauern gelaufen waren, begann danach die triste Einöde auf dem Highway Richtung Flughafen. Der Highway wollte kein Ende nehmen! Für Abwechslung sorgte einmal mehr die Spitzengruppe der Profi – Damen, die mir auf dem Highway nach und nach – weit auseinandergezogen – entgegenkam.

Jetzt stand mir noch die sogenannte „Hölle“, das Energylab, eine Solarforschungsstation mit besonders heißen klimatischen Bedingungen, bevor! Unten an der Wende vom Energylab angekommen freute ich mich auf das Wiedersehen mit Papa. Nach einem kurzen Abklatschen, oben auf dem Highway, ging es für mich endlich Richtung Ziellinie in Kona! Nur noch etwa 15 Kilometer waren es ab hier. Aber was heißt in meiner körperlichen und mentalen Verfassung eigentlich „nur noch“? Nachdem ich den Highway verlassen hatte, ging es bergab Richtung Pier. Jetzt waren es noch etwa zwei Kilometer. Erst etwa 500m vor dem Ziel war ich mir wirklich sicher, das Ziel heute zu erreichen. Ich laufe erleichtert und überglücklich unter tosendem Applaus der vielen Zuschauer die letzten Meter zur Finish-Line. Nach 10:52:01 Stunden ist es vollbracht! Sprecherlegende Mark Reilly begrüßte auch mich mit den magischen Worten „You are an IRONMAN“. Der Mythos Ironman Hawaii ist geschafft und pure Emotionen brechen über mich herein. Wie versprochen überquere ich mit einem Lächeln und Tränen in den Augen die Ziellinie. Unendlich glücklich und zufrieden habe ich meinen Traum Wirklichkeit werden lassen!

Papa beschrieb sein Rennen heute, wie man es schwäbisch nicht besser ausdrücken könnte: „Voll verreckt“. Nach 11:27 Stunden erreichte er das Ziel und konnte somit seine noch offene Rechnung mit der Feuergöttin Pele dennoch begleichen. Diese hatte ihm bei seinem ersten Start hier auf der Pazifikinsel 1993 ein erfolgreiches Finish verwehrt, weil er seinerzeit nach mehrmaligem Erbrechen beim Radfahren und Laufen nach acht Meilen auf der Laufstrecke aufgeben musste. Dennoch war die Reise damals, wenn auch verspätet, in der Nachbetrachtung ein voller Erfolg. Neun Monate später kam mein großer Bruder Nico zur Welt. Und so schließt sich jetzt der Kreis.

Bestes Team

Vater und Tochter gemeinsam im Ziel auf Hawaii. Dort wo, wenn man so will, mit unserer Familie alles begann. Ein überragendes Erlebnis, was uns niemand mehr nehmen kann. Fast schon drehbuchreif . Ich bin so stolz und happy.

Aloha.

Eure

5 Gedanken zu “Hawaii Tagebuch – Teil 4

  1. Armin 7. Oktober 2022 / 16:11

    Ganz starke Leistung, herzlichen Glückwunsch euch beiden. Da hab ja sogar ich ein Lächeln und Freudentränen, wenn ich eure Story so lese. In der Tat Drehbuchreif

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    • MermaidKathi 7. Oktober 2022 / 17:04

      Herzlichen Glückwunsch 🥰🤗. Ich freue mich sehr, dass du es geschafft hast und deinen Traum erfüllen konntest! Toller Bereicht! Hab ihn sehr gerne gelesen. Wirklich dtehbuchreif 😉. Genieße die weiteren Tage auf Hawaii! Wie lange bleibst du dort?

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  2. MermaidKathi 7. Oktober 2022 / 17:04

    Herzlichen Glückwunsch 🥰🤗. Ich freue mich sehr, dass du es geschafft hast und deinen Traum erfüllen konntest! Toller Bereicht! Hab ihn sehr gerne gelesen. Wirklich dtehbuchreif 😉. Genieße die weiteren Tage auf Hawaii! Wie lange bleibst du dort?

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  3. Kirsten Mayer 7. Oktober 2022 / 19:14

    Ganz tolle Leistung von den beiden Super- Athleten und wir freuen uns sehr das das langjährige Ziel erreicht wurde und sind als Darmsheimer superstolz. Herzlichen Glückwunsch und genießt noch die verbleibenden Tage. 🥂🍾🏊‍♂️🚴🏃

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  4. Tabea 7. Oktober 2022 / 22:02

    Liebe Luisa,
    Du bist fantastisch!

    In Zukunft gebe ich nicht mehr mit meinem großen Bruder, sondern mit meiner mega-krassen Kollegin an 🙂

    Gratulation zu dieser wahnsinnigen Leistung!
    Und Danke für den faszinierenden Bericht!

    Jetzt wünsche ich Dir gute Erholung und noch schöne Tage auf Hawai!

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